20.01.2013 |
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Theater, das knallt und kichert
Hauen und gehaut werden, ulken und lieben - so laut beißt man sich durch im Social-Error-Ernstspiel „Last Man in Graz“ im Schauspielhaus Graz
Wie kann man Militärparaden, Flüchtlingselend, Geburtenrückgang, EU-Gipfel und was der Teufel noch alles an Defiziten der modernen Welt möglichst fetzig von der Bühne auf die Zuschauer loslassen? Die Szputnyik Shipping Company aus Budapest unter dem Spiritus Rector Viktor Bodo entscheidet sich für eine Multi-Media-Szenenfolge. Diese wird im Rahmen des modernen Formats einer Game-Show aufgemischt. Ausgeburten des 21. Jahrhunderts flimmern in Doku-Trailern über die Bühnenleinwand. Darauf reagieren die 15 Akteure zusammen mit dem Moderator und einem Kameramann mit meist performanceartigen Versinnbildlichungen. Gleich anfangs ein starker Effekt: Auf nachtdunkler Bühne werden die Schauspieler wie Verschwörer präsentiert. Dann flackert Aggressivität sowohl der Doku-Bilder als auch der Schauspieler und des Lichtes auf der Bühne und im Parkett auf. Eine ungeahnte Intensität peitscht die Situation hoch. Der Theater-Schein wird hinwegkatapultiert, der Zuschauer fühlt sich schlagartig von der fiebernden Erregung einer Revolution ergriffen. Die Wände fliegen ab.
Kampf zwischen Erschießen und Gewinnen
Der Moderator (mit großartiger Nonchalance Jan Thümer) holt einen auf den (Theater-)Kampf zwischen den Einzelnen um Punkte und damit um sozialen Aufstieg zurück. Weiter geht’s mit Kauzig-Burleskem wie der Beschaffung von dringend benötigtem Einheimischen-Nachwuchs durch Gruppensex in Pärchen-Zelten. Oder mit nicht einstudiertem Slapstick-Gehüpfe (offiziell: spontane Choreographie), dessen Bezug zur synchronen Doku rätselhaft bleibt. Einmal noch geht die sarkastische Parodie zeitgenössischer Massenunterhaltung unter die Haut. In Großbildaufnahmen wird einer nach dem andern bei laufender Kamera erschossen. Die Mienen der Hingerichteten beim Heranzoomen und ihr tödliches Herumwirbeln schleudern das Morden in Syrien oder in Afghanistan in den Saal. Manches Zeitkritisches, was angekündigt wurde, bleibt unter ferner liefen, etwa wenn der Bezug zu Graz neben der wiederholten Namensnennung nur darin besteht, dass aus der Sturm-Hymne der Chor „Hier regiert der Widerstand“ wird. Manchmal wird die Brutalität von Doku-Bildern aber durch Parodie-Szenen auch zurückgenommen. Das Kalkül von Bodo entfaltet sich in der Dynamik von Parallel- und Kontrastaktionen, von Schrecken und Humor.
Die Fangemeinde der Szputnyik-Wandertruppe outete sich schließlich in tobendem Beifall und gellenden Begeisterungspfiffen. Für jede außerhalb des Theatermainstreams stehende Truppe sind treue Fans lebensnotwendig. Wenig überraschend, dass sie vom Moderator letztlich auch zum Hauptgewinner dieses Strategiespieles erklärt wurden.
WaHo
Fotos: Lupi Spuma