Der Anfang des Theaterstückes „X-Freunde“ (Regie Judith Wille), das am 23.10.2012 auf der Probebühne des Schauspielhauses seine Premiere spielte, ist etwas verwirrend. Aus einem Laptop, der sich durch die gesamte Bühne verbreitet, erscheinen drei Schauspieler: eine Frau und zwei Männer.
Anne Holz jammert über ihren Chef, der ihre Stärken nicht zu schätzen weiß und nun mit dem Verlust einer der tatkräftigsten und engagiertesten Mitarbeiterinnen zurechtzukommen hat. Ein trüber Eindruck, der täuscht, denn Anne ist alles andere als ein Jammerlappen. Sie verlangt von sich 101 Prozent ab, ist eine ausgesprochene Perfektionistin und ein pathologischer Workaholic. Sie ist verheiratet ohne Kinder und sehnt sich auch nicht danach, einmal eine Mutter zu werden, denn Windeln wechseln und durch den Park spazieren gehen, steht nicht auf ihrem Businessplan. Ihr Sexualleben ist seit Jahren eingeschlafen, seit fünf oder auch mehr Jahren hat sie keine Regel mehr. Ein Zeichen sexuellen Frusts?
Anne ist besessen vom Erfolg. Ihr Gefühlsleben, ihre Emotionen sind eingeschlafen. Sie lebt nur noch für die Arbeit, bis hin zur Erschöpfung. Im Bett arbeitet sie im Kopf weitere Projekte aus.
„Ca. 80 Prozent der Männer haben das. Aber sie haben das auch übertrieben“, so unterhielten sich zwei Damen nach der Premiere beim Verlassen des Schauspielhauses. Arbeiten bis man umfällt ohne irgendwelche der eigenen Bedürfnisse, wie Essen, Sexualität, Ruhe zu beachten, ist nicht gesund und führt zu schädlichen gesundheitlichen Folgen. Und wie viel ist gesund? Wie viel darf man von der eigenen Arbeit und dem Erfolg "besessen" sein? Wie viel soll man sich unter Druck setzen? Sich selbst. Heutzutage kommt man im hektischen Lauf der Dinge ausschließlich dann mit, wenn man sich selbst diesem Tempo anpasst. Insofern ist das Frauenbild, dass im Theaterstück "X-Freunde" aufgeführt worden ist kein richtiger Ausnahmefall. Denn schaut man sich in der Öffentlichkeit um, so sind z.B. Heidi Klum, Michelle Obama etc. auch nicht anders. Die Ära der Frauen fängt erst an. Denn erst ab dem 21.Jahrhundert befreien sich diese von dem typischen Hausfrau- und Mutterklischee und entfalten sich im Berufsleben. Wie weit darf die Jagd nach Erfolg und Anerkennung gehen? Wie Multitasking ist die Frau von heute? Schafft man Kind, Familie, Beruf und Sozialleben unter einen Hut zu bringen? Auch zur eigenen Zufriedenheit? Und ab wann kann man das Verhalten als krank bezeichnen?
Indem eine Frau im Theaterstück "X-Freunde" als die, die das Geld nach Hause bringt, dargestellt wird, was eher als typisch männliche Aufgabe in einer Familie gesellschaftlich gesehen wird, so wird aus dem Ehemann von Anne, Holger Holz (Simon Käser) eine Hausfrau, die auch gerne Vater oder auch gleich die Mutter sein würde. Eine Asymmetrie, die weniger in die gesellschaftlichen Klischees reinpasst, heutzutage jedoch keine Ausnahme mehr ist.
Ein Rollentausch zwischen Mann und Frau, der den gesellschaftlichen Ansichten entgegen ist, wird im Theater vorgespielt und dem Zuschauer zur Diskussion dargeboten. Ist es eine Idealvorstellung einer Frau eine Karriere zu machen und nebenbei noch Kinder großzuziehen?
Judith Will sprengt durch ihre ernsthafte und gleichzeitig spritzig-witzige Inszenierung "X- Freunde"(einzelne Vorstellungen finden bis 27.Dezember 2012 im Schauspielhaus statt) durch das emotionale und zugleich bewegende Schauspiel von Florian Köhler (der Künstler Peter Pilz), Evi Kehrstephan (Anne Holz), Simon Käser(Holger Holz) die Grenzen von einigen Klischees. Ihre Sicht auf die Zukunft einer Frau und ihre Stellung in der Gesellschaft könnte einigen Frauen Mut machen, mehr zu wagen.
Varvara Shcherbak
Fotos: Lupi Spuma