Eine Frau besitzt die ihr von der Natur zugeteilte Macht. Eine Macht, die sie oft bewusst, oft auch unbewusst oder unrealisierbar auf einen Mann projiziert. Und wenn schon eine Frau bewusst ihre Macht einsetzt, sollte sie sich deren Folgen bewusst sein und auch kein Opfer spielen, wenn es doch kein "and they lived happily ever after" gibt.
Fräulein Julie ist die Tochter eines Grafen, die ein „männerfressendes Weib“ genannt wird. Sie hasst Männer und will sie alle zerstören, indem sie ihr Spiel spielt, wobei sie sie wie die Spinnenart Black Widow in ihren Bann zieht und sie dann in ihrem Verlangen verweilen lässt. Diesmal schlägt jedoch das Imperium zurück. Fräulein Julie erwählt sich einen Diener, der noch dazu mit der Köchin des Grafen verlobt ist und deren Heirat in unmittelbarer Zukunft ansteht. Trotz ihrer Erwartung verbrennt den Auserwählten nicht die Flamme der Liebe. Er nimmt das Spiel von Fräulein Julie an, mehr noch, er spielt sein eigenes Spiel, indem er ihr das gibt, was sie von ihm erwartet, was er aber nicht unbedingt selbst verspürt.
Fräulein Julie ist eine verwirrte, verlorene Frau, die nicht weiß, was sie will. Sie spielt mit der offenen Flamme und verbrennt sich im Endeffekt daran.
Das Theaterstück "Fräulein Julie", Regie von Alexandra Liedtke, zeigt, wie die Position einer Frau in der Gesellschaft, und vor al
lem einer adligen Frau, ist. Heraufficken macht Sinn und kann strategisch sogar als klug angesehen werden. Hinunterficken zerstört jedoch eine Frau, bringt sie auf den Abgrund, macht sie schwach, was auch der Diener Jean sofort bemerkt und diese ihre Schwäche ausnutzt. So wie Fräulein Julies Mutter, zwar mit dem Grafen verheiratet, mehrere Liebhaber hatte, war selbst Alexandra Liedtke in einer ungewöhnlichen Situation
aufgewachsen – nämlich in einer Patchworkfamilie. Man sieht an dem Beispiel von Fräulein Julie, wie das Leben der Eltern, vor allem das Gefühl eines sicheren Netzes, für die Kinder zerstörerisch sein kann, wenn dieses Netz dann auf einmal bricht.
Die junge Schauspielerin Tabea Bettin, die in "Fräulein Julie" zum ersten Mal im Grazer Schauspielhaus auftritt, zeigt Emotion und lebt sehr natürlich ihre Rolle, sodass man ihr auch noch beim Verbeugen emotionale Anstrengung ansieht. Pia Luise Händler hat wieder einmal ihr schauspielerisches Talent bewiesen. Auch der einzige Mann auf der Bühne, Thomas Frank (in der Rolle des Dieners Jean), zeigte sich unabhängig und sehr professionell.
Bereits beim Betreten der winzigen Probebühne des S
chauspielhauses Graz verspürt man eine gewisse Unruhe und die Tragödie der bevorstehenden Vorstellung. Quadratische Bühne, umrundet von kahlen Bänken, eine hinunterhängende Glocke, inmitten des Raumes ein Eimer. Nur einen einzigen Moment verspürte man Lebhaftigkeit und Freude in dieser Vorstellung: als die Rosenblüten lose von der Decke wie in einem Sturm herunterfielen. Ein Traum für die Romantiker, die Glitzern in die Frauenaugen brachten. Die Darsteller zeigten viel Haut, man spürte hier jedoch keine geile Spannung.
„Fräulein Julie“ ist ein Psychostück, das aufgrund seines Inhaltes, auch wenn super gespielt, keine gute Stimmung macht. Man verlässt den Saal mit einem Leeregefühl, das man sofort mit etwas Positivem stillen will. Erfreulicherweise waren hier keine Kinderopfer im Szenario.
VS
Fotos: Lupi Spuma