Kurios und futuristisch wie eine Zirkusarena, wie ein Potpourri gestaltete sich die Bühne und die Bekleidung der Darsteller zur Aufführung der Oper „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“, Inszenierung Calixto Bieito, am Premierenabend am 22.05.2013 an der Grazer Oper. Knallige Farben, kurze Röcke aus Leder, Playboy-Bunny-Ohren, Netzstrumpfhosen mit Muster, knalliges Make-Up, gefakte Haare, eine Frau als Clown verkleidet und Wohnmobile als Wohn- und Fickmöglichkeit. Das Schauspiel erinnerte eher an ein Revuestück, in dem es keinen Leitfaden und keine durchlaufende Handlung gibt, denn die Oper ist zerstückelt. Sie ist gleichermaßen knifflig und bunt, total verrückt und jedem normalen Verstand fremd. All diese Elemente tragen dazu bei, die Kernaussage des Stückes zu transportieren: Die Absurdität und zerstörerische Kraft des Alkohols, den Wahnsinn des Verkaufs des eigenen Körpers und die omnipresente Geldgier.
Die Oper „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ entstand im Laufe des Zusammenwirkens von Kurt Weill, der etwas schräge Musik komponierte, und Bertold Brechts Libretto.
Die von den Konstablern* verfolgte Witwe Leokadja Begbick, Fatty, der „Prokurist“ und der Dreieinigkeitsmoses bildeten aus Not die Stadt Mahagonny mitten in der Wüste im Nordamerika der Gegenwart. Die Darsteller Fran Lubahn, Taylan Reinhard und David McShane hatten bei der Aufführung am 22.05.2013 in der Grazer Oper jeweils ihr Rollendebüt. Mit Sex- und Whiskyverkauf wollen drei selbsternannte Unternehmer reich werden. Das Geschäft blüht jedoch nicht wie erhofft. Erst, nachdem vier Holzfäller aus Alaska, unter ihnen Jimmy Mahoney (Herbert Lippert), ins Land ziehen, blüht die Stadt Mahagonny wieder auf. Auch sie wollen sich beglücken lassen und tauchen in die unterhaltenden Darbietungen der Stadt ein, bis ein Verbot nach dem anderen, dessen Einführung mit dem Kapitalismus verglichen wird, ihren Geist aufheizt und empört. Statt „Hier ist verboten…“ führt Jimmy das Gesetz der menschlichen Glückseligkeit „Du darfst!“ ein. Das Einzige, das immer noch nicht geht, ist kein Geld zu haben. Die „gerechte“ Strafe dafür ist der Tod, die im Endeffekt der gierige Jimmy zahlen muss.
Das Stück stellt das Bild eines sexuell aktiven, gesunden Mannes, der sich nichts entgehen lassen will, in den Vordergrund. Alle Frauen sind Huren (ob beruflich oder privat), die die Bedürfnisse eines Mannes zu stillen haben. Die Oper „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ stellt ein frauenfeindliches Bild dar, das die Frau als Dienerin des Mannes zeigt. Alleine der berühmte Alabama Song, der von den Huren der Stadt Mahagonny am Anfang der Oper gesungen wird und über ihr aufgegebenes Leben, das keine schöne Aussicht mehr bietet, außer sich körperlich zu verkaufen, berichtet, ist ein sprachlicher Beweis dafür.
Abstoßend ist das Video, in welchem Männer kurz vor dem Orgasmus gezeigt werden, das während des Stückes durch ein Fernsehgerät dem Publikum präsentiert wird. Eine wiederholte Andeutung an die Wichtigkeit des männlichen und Nichtigkeit des weiblichen Orgasmus.
Der „Playboy“ ist allerdings nicht neidisch, denn die Bewegungen und Gesten der nackten Darsteller waren so dermaßen scheu und zurückhaltend gehalten, dass eine Erregung nicht mal in Sicht war, obwohl man sich eher das Gegenteil erwartet hätte.
Vielleicht gerade weil das Stück so verrückt und futuristisch auf die Bühne gebracht wurde, entfiel die Reaktion des Publikums euphorisch, als die Darsteller am Ende der Aufführung sich im Zuschauersaal verteilten, während sie eines der wohl bekanntesten Lieder Deutschlands sangen:
„Denn wie man sich bettet, so liegt man. Es deckt einen da keiner zu. Und wenn einer tritt, dann bin ich es. Und wird einer getreten, dann bist´s du.“
Weitere Vorstellungen von „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ sind am 24.05, 26.05, 28.05 und 29.05 in der Oper Graz.
VS
Fotos: Werner Kmetitsch
*Konstabler – Beamter des Königreiches Jerusalem, Aufsichtsrat am Hof im Fränkischen Reich