17.07.2014 |
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Anatevka
Die Frauen der Seebühne Mörbisch
Seit September 2012 ist die Seebühne Mörbisch am Neusiedlersee in weiblicher Hand - seit Kammersängerin Dagmar Schellenberger die Intendanz der Seefestspiele übernommen hat.
Und: sie ist in bester Hand!
Mit dem Musical Anatevka hat Dagmar Schellenberger ein Stück ausgewählt, in dem jede einzelne Frau eine starke Frau verkörpert - eine Frau, die weiß, was sie will.
Geht es in diesem mit dem englischen Originaltitel „Fiddler on the Roof“ 1964 am Broadway uraufgeführten Musical - basierend auf den Geschichten von Sholem Aleichem, Buch von Joseph Stein, wunderschöne Musik von Jerry Bock und berührenden Texten von Sheldon Harnick – vielleicht vorrangig um den Milchmann Tevje, der mit seiner Frau Golde und seinen fünf Töchtern um 1905 in einem kleinen Schtetl in der Ukraine lebt, in dem jüdische Tradition streng gelebt wird, in der der Mann der Herr im Haus ist, so sind es tatsächlich die Frauen, die das Stück entscheidend beeinflussen.
Dagmar Schellenberger selbst spielt Tevjes Frau Golde.
Aber noch bevor das Stück beginnt, begrüßt sie ihr Publikum auf eine äußerst persönliche Art und Weise. Sie schwärmt über ihre neue Heimat Mörbisch, den Neusiedler See und wie sie hier freundlich aufgenommen wurde und heißt speziell Besucher aus ihrer alten Heimat Sachsen, sowie eine Gruppe von Kaffeesiedern herzlich Willkommen. Nachdem sie auch den Dirigenten des heutigen Abend, Günter Fruhmann, der heute seine Premiere hat, auf der Bühne begrüßt hat, wünscht sie allen Besuchern einen unvergesslichen Abend, setzt ihr Kopftuch auf und los geht’s. Mit „Tradition“.
Zu den beeindruckenden Frauen von Anatevka
Jente
Da ist erst einmal Jente (Maria Mallé), die Heiratsvermittlerin, die in jedem Haus, in dem sich heiratsfähige Töchter befinden, heiß ersehnt ist. Frauen aus armen Verhältnissen müssen den heiraten, den Jente bringt, und sie erhoffen sich einen Mann, der sich mit Frauen auskennt. Jente vermittelt und hat die Fäden in der Hand. Sie selbst hat von ihrem eigenen bereits verstorbenen Mann jedoch nicht das bekommen, was sie sich erhoffte – nichts hat er geschafft, nicht einmal ein Kind. Aber ohne ihn ist es auch schrecklich, niemandem zum Reden – niemandem zum Widerreden…
Golde
Jente hat eine gute Partie gefunden für Zeitel (Bele Kumberger), der ältesten Tochter von Golde und Tevje (Gerhard Ernst), und Golde bringt Tevje dazu, den Auserwählten, seinen nicht gerade besten Freund, den reichen Metzger Lazar Wolf (Stephan Paryla-Raky), im Gasthaus zu treffen, um die Hochzeit zu besiegeln.
Zeitel
Zeitel ist jedoch schon seit einem Jahr heimlich mit dem benachbarten armen Schneider Mottel (Erwin Belakowitsch) verlobt, den sie liebt, der sich aber nicht traut, Tevje um die Hand seiner Tochter zu fragen. Erst als Zeitel sich beschwert über Mottels Zurückhaltung und ihm sagt, dass wohl auch ein armer Schneider ein Anrecht auf ein bisschen Glück hat, nimmt sich Mottel allen Mut zusammen und argumentiert mit genau diesen Worten bei Tevje, der sich dadurch („er redet ja plötzlich wie ein Mann“) aber vor allem aufgrund der strahlenden Augen seiner Tochter umstimmen lässt und der Hochzeit zustimmt. Zeitel hätte gemacht, was die Tradition, ihre Familie von ihr erwarten, aber sie hat klar gesagt, was sie will, wen sie liebt und ihren Vater innigst gebeten, sie nicht zu zwingen, Lazar zu heiraten.
Goldes Großmutter und Fruma Sarah
Um seiner Frau Golde, die die Hochzeit Zeitels mit dem wohlhabenden Metzger und damit finanzielle Sicherheit für Zeitel aber auch für die ganze Familie erwartet, beizubringen, dass der arme Mottel der richtige Mann für Zeitel ist, läßt sich Tevje einen Traum einfallen, in dem Goldes Großmutter (Franziska Stanner) ihm erscheint, die Mottel als den einzig richtigen Mann für Zeitel bezeichnet. Auf Zurufe von Golde diskutiert er mit der Großmutter, ob es nicht doch der Metzger Lazar sei, aber Goldes Großmutter läßt sich nicht abbringen und bleibt dabei: nur Mottel ist der richtige Mann!
Als zusätzlich noch die verstorbene Frau des Metzgers, Fruma Sarah auftaucht und droht, sich zu rächen, wenn Zeitel ihren Lazar heiraten würde, ist auch Golde überzeugt und stimmt, als entscheidende Stimme, der Heirat mit dem armen Mottel zu.
Hodel
In der Zwischenzeit hat sich auch Hodel (Elisabeth Ebner/Maria Ladurner), die zweitälteste Tochter, verliebt – in den belesenen Studenten Perchik (Georg Leskovich) aus Kiew, der nichts hat außer sein Wissen und seine revolutionären Ideen und der für Bildung, konkret den Unterricht der beiden jüngsten Töchter bei Tevje Kost und Logie bekommt. Hodel erklärt Perchik, dass ein junger Mann sich einer jungen Frau gegenüber respektvoll zu verhalten hat und als Perchik sie bittet, einen Tanz mit ihr zu wagen, so wie in Kiew Männer und Frauen zusammen tanzen, und ihr nach dem Tanz sagt, jetzt haben wir die Tradition gebrochen, antwortet sie selbstbewußt: Gern geschehen.
Perchik läßt bei Zeitel und Mottels Hochzeit das ganze Schtetl gemeinsam tanzen, denn auf sein Anraten wird der Rabbi (Rupert Bergmann/Hubertus Reim) gefragt, ob ein Tanzen zwischen Mann und Frau denn verboten sei, was der Rabbi nach dem angekündigten „der Rabbi spricht“ verneint, verboten sei es nicht.
Ja, die geliebte Tradition. Aber manchmal muss man was ändern, um glücklich zu sein.
Die ausgelassene Hochzeitsfeier wird jäh beendet von einem Progrom, bei dem russische Soldaten alles zerstören, bis sie vom Wachtmeister (Olaf Plassa), der Tevje freundlich gesinnt ist, zurück gerufen werden.
Chava
Den immer stärker werdenden Konflikt zwischen den jüdischen Dorfbewohnern und den Russen bekommt auch Chava (Iris Graf), die drittjüngste Tochter von Golde und Tevje zu spüren, als sie von russischen Soldaten auf der Strasse belästigt wird. Der junge Russe Fedja (Andreas Sauerzapf), der Chava schon früher beim Buchhändler bemerkt hat, verscheucht seine Kameraden. Er möchte Chava ein Buch schenken und fragt sie, ob sie es nicht nehmen will, weil er kein Jude ist. Er glaubt aber nicht, dass Chava so ist wie seine Kameraden den Juden gegenüber. Die beiden verlieben sich.
Perchik geht nach Russland, um sich gegen den Zaren zu engagieren. Vor seiner Abreise will er sich mit Hodel verloben. Während er herum redet und ihr die politische Frage stellt, was sie von der Ehe hält, bringt Hodel es auf den Punkt.
Tevje will nicht zustimmen! Seine Tochter mit einem Mann, der nichts hat, noch dazu, wenn er weggeht – das geht nicht! Aber Hodel und Perchik wollten gar nicht um Erlaubnis bitten, sondern nur um seinen Segen.
Wieder einmal gehen Tevje tausende Gedanken durch den Kopf – er führt eines seiner vielen Zwiegespräche mit sich selber und mit Gott … „andererseits…. andererseits“… und letztendlich gibt er seiner zweitältesten Tochter und ihrem Verlobten seinen Segen.
Diese „Liebe“ ist etwas ganz Neues für ihn, und nach 25 Jahren fragt er erstmals seine Frau „ist es Liebe?“ Die will vorerst nichts wissen, „Sei still. Du bist krank. Leg Dich hin“ denn diese Frage hat sie sich noch nie gestellt – nach alter Tradition wurde auch ihr ein Mann zugeteilt. Die Mutter sagte, die Liebe komme erst später – nach 25 Jahren – muss es wohl Liebe sein?
Perchik ist in der Zwischenzeit in Sibirien, er wurde inhaftiert. Hodel fährt zu ihm. Nicht, weil er es von ihr verlangt, sondern weil sie es will. Tevje bringt seine Tochter zum Zug. Auch wenn er nicht will, dass sie geht, hat er größten Respekt vor ihrer Entscheidung und vertraut ihr, dass sie das macht, was ihr gut tut.
Die Musik und der echte volle Mond, der sich gerade in dieser Szene mitten über der Bühne befindet, so als würde er genau hierher gehören, verstärken diese emotionale Szene.
Während ich noch berührt bin und mir denke „ Tevje ist ein guter Vater!“, zeigt Tevje bei seiner drittältesten Tochter Chava kein Verständnis – dass sie einen Nicht-Juden liebt, das kann er nicht verstehen und nicht akzeptieren – soweit kann er die Tradition nicht brechen. Er verbietet ihr den Umgang mit Fedja.
Tevje ist grantig, und als seine Frau ihn ruft, will er ihr und allen anderen beweisen, dass er das Sagen im Haus hat. Er macht, was er sich vorgenommen hat – den Familienzuwachs von Mottel und Zeitel anschauen – nein, nicht das Kind, sondern die langersehnte Nähmaschine. Aber nur ganz kurz öffnet er die Tür zu Mottels und Zeitels Haus, um dann zu seiner Frau zu eilen, die tatsächlich, wie immer, der „Herr im Haus“ ist.
Am nächsten Morgen ist Chava verschwunden – und bereits mit Fedja verheiratet.
Für Tevje ist seine drittälteste Tochter damit gestorben und er zerreißt sich sein Hemd, wie es jüdische Tradition ist, die Trauer über den Tod eines geliebten Menschen zu zeigen. Und er hat sie geliebt...seine kleine Chavale, wie er liebevoll singt. Im Hintergrund sieht man seine drei Töchter, die tanzen und dann eine nach der anderen mit einem Mann davon geht.
Er kann Chava nicht vergeben, auch wenn sie mehrmals versucht, mit ihm zu sprechen.
So wie sich die Familie auflöst, löst sich auch Anatevka auf, denn der Wachtmeister verkündet den Befehl von oben, dass alle Juden Anatevka innerhalb von 3 Tagen verlassen müssen. Das Schtetl war ihre Heimat, auch wenn sie nichts hatten, hatten sie hier alles. Chava kommt nach Hause, um sich zu verabschieden. Golde fällt ihr in die Arme. Chava versucht nochmal, mit ihrem Vater zu reden. Sie und Fedja gehen auch weg, da sie nicht an einem Ort bleiben wollen, an dem man so mit Menschen umgeht. Tevje bringt es doch noch übers Herz, seiner Tochter Gottes Segen zu wünschen. Nun geht es auf in eine neue, ungewisse Zukunft.
jüdische Tradition
Ganz nebenbei erfährt der Zuseher einiges über das jüdische Leben und die jüdische Tradition, wie das Vorbereiten und das gemeinsame Feiern des Sabbat-Abendmahl, die typischen jüdischen Tänze, die Hochzeitszeremonie unter der Chuppa - ein von vier Stangen gehaltener Hochzeitsbaldachin, unter den die Braut von zwei Frauen zum Bräutigam gebracht wird, welcher am Ende der Zeremonie ein Glas zerbricht, was an die Zerstörung des Tempels in Jerusalem erinnern soll, die Hochzeitsfeierlichkeiten mit dem Hochheben der Brautleute auf Sessel sitzend, dem Anpreisen der Mitgift, dem Flaschentanz der Männer, oder der Trennung von Frauen und Männern, auch auf der Tanzfläche, wie ein in der Mitte gepanntes Seil andeuten soll, uvm.
Am Gelände der Seefestspiele Mörbisch ist auch für das leibliche Wohl bestens gesorgt. Auf dem weitläufigen Festspielgelände warten u.a. ein Restaurant mit pannonischen Spezialitäten, ein Kaffeehaus, ein Würstelstand, an dem man nach der Vorstellung vielleicht auch noch den einen oder anderen Darsteller treffen kann, und einiges mehr.
Ach ja, und nicht zu vergessen: als krönender Abschluss der Veranstaltung das atemberaubende Feuerwerk mit gleichzeitigem Wasserspiel!
Es wurde, so wie Dagmar Schellenberger gewünscht, ein unvergesslicher Abend! Mazl tov!
Unsere Jungredakteurin Elena, 10 Jahre berichtet:
Im Musical Anatevka geht es um eine sehr arme jüdische Familie. Die 3 ältesten Töchter von dem Milchmann Tevje kommen langsam ins heiratsfähige Alter.
Alle 3 wollen heiraten aus Liebe. Zeitel den armen Schneider Mottl, Hodel den Studenten aus Kiew und Chava einen nicht jüdischen Wachmann. Nun wird Tevjes Leben total auf den Kopf gestellt. Am Ende werden alle Juden aus Anatevka vertrieben.
Die Bühne im See war sehr schön. Von der Tribüne aus konnte man viel sehen.
Die Vorstellungen, oder zumindest vereinzelte, könnten früher beginnen - das wäre Kinder-freundlicher.
In der Pause oder nach dem Stück konnte man bei verschiedenen Ständen etwas essen oder trinken. Das Stück selber hat mir auch sehr gut gefallen.
Stimmen aus dem Publikum:
„Das Jiddische hat mir ein bisserl gefehlt.“
Ich fand gerade z.B die echte Wiener Aussprache des Wirten Motschach (Claudio Hiller) sehr sympathisch, da authentisch. Wahrscheinlich besser als ein unechtes nachgemachtes Jiddisch.
„Politisch leider brandaktuell!“
Anatevka
Regie Karl Absenger
Bühnenbild/Kostüme Walter Vogelweider
Musikalische Leitung David Levi
Choreografie Vladimír Snížek
Akustikdesign Wolfgang Fritz
Lichtdesign Jürgen Erntl
Chorleitung Thomas Böttcher
10. Juli – 23. August 2014 Beginn jeweils 20.30 Uhr
Backstage-Führungen vor jeder Vorstellung buchbar
Titelbild:
Im Bild: Maria Ladurner (Hodel), Ingrid Habermann (Shandel), Iris Graf (Chava) © Seefestspiele Mörbisch/Jerzy Bin
Fotos im Text:
1.Dagmar Schellenberger © Walter F. Pamberg
Foto der Seebühne vor Beginn der Vorstellung und Foto unserer Jungredakteurin: Eigenproduktion
alle anderen Fotos: © Seefestspiele Mörbisch/Jerzy Bin