§ 11. Abs. 2 Schulpflichtgesetz
Die allgemeine Schulpflicht kann ferner durch die Teilnahme an häuslichem Unterricht erfüllt werden, sofern der Unterricht jenem an einer im § 5 genannten Schule – ausgenommen die Polytechnische Schule – mindestens gleichwertig ist.
Meine Tochter, im November 12 Jahre alt, wird dieses Jahr zum sechsten Mal häuslich unterrichtet.
Der Ablauf ist (oder war) bislang einfach, man übergibt der Bildungsdirektion des zuständigen Bundeslandes (damals Stadtschulrat) alle notwendigen Dokumente (Meldezettel etc.) und füllt ein Formular aus, das sich Anzeige zur Teilnahme am häuslichen Unterricht nennt. Diese Anzeige ist durch die (nunmehr) Bildungsdirektion zu bestätigen (bzw. zur Kenntnis zu nehmen, wie es bei Anzeigen üblich ist). Diese „Kenntnisnahme“ kommt – normalerweise, so war es die letzten Jahre – in Papierform mit der Post.
Für das nächste Schuljahr ist dann nur das Zeugnis (am Ende des Schuljahres ist eine Prüfung abzulegen bzw. für höhere Schulstufen dann pro Fach je eine bzw. zwei Prüfungen, da bei Hauptfächern schriftlich und mündlich geprüft wird) und eine neue Anzeige zur Teilnahme am häuslichen Unterricht bei der Bildungsdirektion abzugeben.
Die Coronakrise letztes Jahr hat den Unterricht meiner Tochter nicht wirklich beeinflusst. Sie konnte wie gewohnt weiterlernen und dann am Ende des Schuljahres die jeweiligen Prüfungen in der Schule ablegen.
Fast forward zu heute.
Heute ist der 6. Oktober 2021. Ich habe wie gewohnt Ende Juni, als ich das Zeugnis in der Hand hatte, Zeugnis und Formular an das Bildungsministerium gemailt. Am 22.Juni 2021 um es genau zu nehmen. Über die Sommermonate habe ich nichts vom Bildungsministerium gehört, kein Email, kein Anruf, keine Post. Ende des Sommers konnte man dann der Reihe aus diversen Zeitungsartikeln entnehmen, dass die Regeln für den häuslichen Unterricht verschärft werden sollen. Mittlerweile weiß man aus den Medien (!) – nicht vom Ministerium, von dort erhält man ja keine Informationen – dass es eine Art Zwischenstandprüfung geben soll, die nicht benotet wird. Außerdem ein „Aufklärungsgespräch“, das „freiwillig“ sein. Wenn man allerdings nach mehrmaligen Aufforderungen noch zu keinem Gespräch aufgetaucht ist, soll dann das Jugendamt kommen. (Also alles extremst freiwillig. Wer will nicht das Jugendamt bei sich zu Hause stehen haben, ist ja was Nettes.)
Übrigens: Ich weiß nicht, welches Medien-Outlet die Falschinformation gestartet hat, dass man sich „ab diesem Jahr“ als Elternteil nicht mehr die Schule, an der die Externistenprüfung abgelegt wird, aussuchen kann. Das kann man nämlich bereits das dritte Jahr nicht. Die Schule wird (seit dem Schuljahr 2019/2020) automatisch durch die Meldeadresse zugewiesen. Es wurde weiterführend offenbar auch nicht recherchiert, denn alle Zeitschriften haben diese falsche Information 1:1 übernommen.
Auf der Homepage des Bildungsministeriums (bildung-wien.gv.at) ist das sogar nachzulesen:
"Gemäß der Verordnung der Bildungsdirektion für Wien vom 30. Jänner 2019, VoBl. 2, Nr. 12/2018, werden die Kinder einer Externistenprüfungskommission zugewiesen. Diese Zuweisung ist auch der Kenntnisnahme des häuslichen Unterrichts bzw des Besuchs einer Privatschule ohne Öffentlichkeitsrecht zu entnehmen."
Ich habe jedenfalls bis dato immer noch keine Bestätigung von der Bildungsdirektion.
Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen: Über 3 Monate – genauer gesagt 15 Wochen und einen Tag – warte ich bereits auf die Bestätigung von der Bildungsdirektion Wien.
Auf meine Emails wurde bis dato nicht geantwortet. Kein Mucks, nicht einmal eine marginale Antwort, die Anzeige sei in Bearbeitung. Einfach null Reaktion. In der Bildungsdirektion hebt auch niemand ab, nur die Dame in der Zentrale, diejenigen Personen, die für die Externistenangelegenheiten zuständig sind, heben nicht ab. Man wird auch nicht automatisch an eine Vertretung oder dergleichen weitergeleitet.
Als dann nach vielen vielen vielen Versuchen doch jemand in der Bildungsdirektion erreicht werden konnte, hieß es, der Akt sei nicht dort, „jemand vom Ministerium“ habe sich alle Akten geholt, außerdem gebe es neue Chefs.
Wohlgemerkt: Man braucht diese schriftliche Kenntnisnahme der Bildungsdirektion, damit man die Schulbücher für dieses Jahr in der Schule holen kann! Und auch für die Prüfungsanmeldung wird diese benötigt.
So jemand wie wir, die wir in Angelegenheiten häuslicher Unterricht schon „alte Hasen“ sind, können uns – bis wir sie von der Schule eventuell vielleicht womöglich irgendwann einmal abholen können – mit anderen Materialen weiterhelfen. Wie macht das jemand, der das dieses Jahr zum ersten Mal macht?
Alle Anzeigebestätigungen werden offenkundig von den Bildungsdirektionen zurückgehalten.
Wie kann es Bildungsminister Heinz Faßmann verantworten, dass all jenen Kindern, die dieses Jahr häuslich unterrichtet werden, die Schulbücher verwehrt werden? Wie ist es zu erklären, dass die Gleichwertigkeit des häuslichen Unterrichts in Frage gestellt wird und gleichzeitig diesen Kindern die Schulbücher, die diese zum Lernen benötigen, vorenthalten werden?
Meine berufliche Situation ermöglicht es mir, dass meine Tochter bei mir sein kann. Das hat den Vorteil, dass sie, auch unbewusst, miterlebt, wie das Berufsleben aussieht und kann daraus ihre Schlüsse ziehen. Sie hat zusätzlich Kontakt zu anderen, gleichaltrigen aber auch jüngeren und älteren Kindern, hat ihre Kurse, geht turnen, reiten, Karate, macht Musik. Dieses Jahr macht sie zusätzlich einen Schauspielkurs.
Da meine Tochter tagsüber bei mir ist, hat sie zusätzlich viel Kontakt mit Personen aus allen möglichen Lebenslagen – jung, alt, reich, arm.
Laut den Angaben einer Frau Ulrike Schiesser von der Bundesstelle für Sektenfragen sind es „oft über-engagierte Eltern, teils aus akademischen Kreisen, die das Schulsystem ablehnen und gut vernetzt sind.“ (Artikel der Kleinen Zeitung Steiermark vom 4.9.2021)
Was ist so schlecht daran, das Schulsystem abzulehnen? Noch dazu, wenn man selbst Akademiker ist? Wenn die Coronakrise der breiten Öffentlichkeit etwas gezeigt hat, dann das: Es fehlt uns an Förderungen. Es wird an den falschen Stellen gespart, Unterricht, Pflege, Gesundheitssystem. Und durch eine großflächige Krise werden diese Schwachstellen deutlich. Viele Eltern sehen die Vorteile des häuslichen Unterrichts und nutzen diesen. Dafür gibt es ihn! Dass das Schulsystem veraltet ist, es zu wenige Lehrkräfte gibt, die Klassen überfüllt sind und die Lehrer oft nicht wissen, wie sie alle Schüler unter einen Hut bringen sollen, ist eine bekannte Tatsache. Und auch die Besorgnis der Eltern, auch was die derzeitige unsichere Lage betrifft (Krankheitsfälle, Schulschließungen, Unsicherheit was Testungen betrifft, immanente Impfpflicht etc.), ist berechtigt, und darf nicht abgetan oder verteufelt werden.
Ist die typisch österreichische Lösung, gesetzlich (und verfassungsrechtlich!) verankerte Möglichkeiten so lange zu sanktionieren und deren Ausführung schwer machen, dass die Bürger von selbst aufgeben, hier angebracht?
Oder wäre es vielleicht wichtiger, das Schulsystem neu zu überdenken, Schulen und deren Personal zu fördern, wie es parallel hierzu auch im Gesundheitssystem angebracht wäre?
Ich verstehe die andere Seite und die Angst, die offenbar das Bildungsministerium hat. Es gilt, die Kinder zu schützen, die in der Schule besser aufgehoben wären. Das verstehe und respektiere ich. Aber wie viele sind das wirklich? Wie viele Eltern, die ihre Kinder abmelden, tun dies nur aus Trotz und/oder unüberlegt? Wie viele Kinder sind tatsächlich abgeschottet? Und wie viele Eltern sind auch tatsächlich dazu in der Lage, diese zu Hause zu unterrichten? Handelt es sich um Akademiker? Ausländer, die kein Deutsch sprechen?
Ein wenig widersprüchlich finde ich die Überlegungen des Bildungsministeriums – einerseits macht man sich offenbar um Sektenbildung Sorgen, andererseits dass viele Akademiker das Schulsystem (gerechtfertigterweise) ablehnen und ihre Kinder aus der Schule nehmen.
Vielleicht wäre es wichtiger und angebracht, objektive Daten hierzu zu veröffentlichen und aufzuklären, anstatt Angst zu schüren und sofort den Konnex zu Sekten herzustellen.
„Schiesser würde sich wünschen, dass Eltern genaue Unterrichtspläne vorlegen müssen.“ (Artikel der Kleinen Zeitung Steiermark vom 4.9.2021)
Welche Berechtigung hat Ulrike Schiesser von der „Bundesstelle für Sektenfragen“, eine Psychologin und „Expertin „für Konflikte im Bereich Esoterik, für Personenkulte, autoritäre und vereinnahmende Gruppenstrukturen und Verschwörungstheorien“, Ratschläge in puncto Unterrichtspläne abzugeben? Werden „private Verbände“ von Eltern mit „Sekten“ verglichen?
Wenn meine Tochter einen „genauen Unterrichtsplan“ wollte, könnte sie gleich in die Schule gehen. Der Sinn des häuslichen Unterrichts es ja, nicht alles vorgekaut zu bekommen und sich die Zeit selbst einteilen zu können. Das Lernen-Wollen, das Neugierig-Sein, das Kinder von klein auf haben, soll nicht durch ständigen Leistungsdruck, der unter anderem durch Noten entsteht, verlernt werden. Meinte Tochter soll lernen, wie man sich selbstständig Informationen beschafft und daraus Zusammenhänge erkennt (und sich dadurch merkt) und nicht, wie man bereits vorgegebene Informationen möglichst gut auswendig lernt und 1.1 wiedergeben kann, was in den Büchern steht.
Was lernt man in der Schule? Was durch den häuslichen Unterricht? Eigenständigkeit? Angepasstheit? Selbst zu denken? Wie effizient ist das In-der-Schule-Sitzen wirklich? Wie viel wird tatsächlich gelernt?
Was bringen Noten? Was bringt Multiple Choice? Arbeit von 8 bis 16 Uhr, dann Freizeit? Selbstständige Zeiteinteilung? Was bringt mehr Lebensfreude? Wie kann man was fördern?
Alles wichtige Fragen, die jedes Elternteil für sich beantworten muss. Ich habe sie für mich jedenfalls bereits vor langer Zeit beantworten können. Meine viel akutere Frage ist, wie sollen die neuen Verschärfungen aussehen? Wann erfahren wir die neuen „Regeln“? Am Ende des Schuljahres? Bekomme ich von Ministerium Bescheid oder muss ich davon aus den ja so zuverlässigen Medien erfahren?
Das Schuljahr läuft bereits seit einem Monat. Wann bekomme ich die Anzeige-Bestätigung für den häuslichen Unterricht endlich zugestellt, damit meine Tochter ihre Schulbücher holen kann?
Ist die Bildungsdirektion für die Ausstellung zuständig oder die MA 2412? Das Salzamt vielleicht?
Text: Sabine Stenzenberger
Bild: Bildungsminister Heinz Faßmann. "Gemeinsam mit dem Alois Mock Institut veranstaltete das Land Niederösterreich ein Symposium zur Zukunft des Wohnens in Niederösterreich. Wohnbau-Landesrat Karl Wilfing eröffnete die hochkarätige Veranstaltung." Quelle: Karl Wilfing from Poysdorf, Österreich. Creative Commons Attribution. 2018