30.05.2010 |
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Sexualität ist Leben
Witzig, spritzig und realistisch schilderte Dimitré Dinev das Wichtigste im Leben.
Bei der Lesung mit Dimitré Dinev, Julya Rabinowich und Semier Insayif im Literaturhaus am Montag, dem 24.Mai, wurde vor allem durch Lebendigkeit und Persönliches in Sexgeschichten gepunktet.
Von wegen Sexszenen sind in der Literatur nicht erlaubt. Dimitré Dinev hat die Normalität des Lebens und seiner Weiterentwicklung in seinem Buch „Engelszungen“ (2007 bei btb erschienen) in eine witzige, spritzige und dabei auch realistische Form verpackt, womit er anlässlich der Lesung das Publikum ganz auf seiner Seite hatte. Das, was die Leute in allen Gebieten unseres Lebens bewegt, ist das Leben an sich, und dazu gehört die Sexualität. Auch wenn die Menschen dies oft nicht zugeben wollen, ist es doch so, was sich unter anderem daran zeigte, dass viele Zuhörer die Gelegenheit ergriffen, um ein Exemplar von Dinevs Roman zu erwerben und signieren zu lassen.
Die gebürtige Russin Julya Rabinowich bewegte die Zuhörer mit ihren lebendigen und emotionalen Geschichten und ihrer ungewöhnlichen Sprechweise, in der sich versteckte Emotionen verbergen. In ihrem Leben hat sie bereits sehr viel erreicht: Bücher, Theaterstücke, Preise usw. Ob die Chancen, ihre Leidenschaft, das Schreiben, auszuüben, in Russland ebenso hoch stehen würden? Nur Gerüchten zufolge kann sie diese Frage beantworten. Zum letzten Mal betrat sie russischen Grund und Boden mit sieben Jahren, seitdem wohnt sie, zuerst mit den Eltern, dann mit ihrer eigenen Familie, in Österreich. Im letzten Jahrhundert hatten die Frauen in Russland fast die gleichen Chancen, sich zu entwickeln, wie im Ausland. Heutzutage sieht man eindeutig, dass die Gleichstellung alles andere als gegeben ist. In Österreich fühlt sich die Schriftstellerin viel freier, in Russland gibt es zu viele verzweifelte Frauen, die ihre Zukunft nicht sehen und deswegen zu Prostituierten werden, weil sie keine andere Chancen haben, zu überleben.
Ihre Muttersprache Russisch wurde von ihrer, wie sie es nennt, Stiefmuttersprache Deutsch fast komplett verdrängt. Eine nicht ausgeübte Sprache stirbt. Ihre Tochter besucht derzeit einen Russischkurs, um die Muttersprache wieder zu erlernen, auch wenn sie nicht unbedingt begeistert davon ist. Julya Rabinowich hat versucht, ihrer Tochter die Sprache zu vermitteln, als sie noch kleiner war, doch um den Mann an ihrer Seite nicht zu benachteiligen oder auszuschließen, hat sie diese Versuche wieder abgebrochen.
Das Leben hat viele Seiten, bunte und weniger bunte, davon konnte man sich bei der Lesung im Literaturhaus überzeugen.
(vs)
Fotos: Klaus Lefebvre, Andrew Rhinky