Bettina Reichl - der Name, der die Modemarke "odrowaz" in das Grazer Geschäft Pell Mel designed. Ihre Kollektionen verkörpern das Spiel mit geometrischen Formen, einigen Oldtimer-Details, wie dem Schulterpolster der 90er Jahre, Overalls, Kapuzen. Von ihrer Nadel kommen ursprünglich exklusive Einzelstücke oder einzelne kleine Serien. www.die-frau.com hat sich mit ihr in ihren vier Wänden, nämlich dem kleinen jedoch gemütlichen und modern gestalteten Designershop Pell Mel, im Zentrum von Graz, direkt im ganzen Gerümmel vom Grazer Bauernmarkt, an dem sonnigen und winterlich warmen Samstag getroffen.
Die-frau: In der Biographie von Christian Dior steht geschrieben, er hat eine Moderevolution mit seiner Mode bewirkt. Seine Schöpfung entsprach genau den Bedürfnissen und Vorstellungen der damaligen Frau. Was war/ist Ihre Moderevolution?
Bettina Reichl: Ich finde, dass es in Österreich sehr viele Modedesigner gibt, die ihre eigenen Kollektionen machen, was früher, zu der Zeit wo ich von der Schule abgegangen bin, gar nicht so gegeben hat. Es ist erst daraus entstanden, dass die Textilindustrie keine Jobs mehr angeboten hat. Und im Grunde war das dann auch der Idealfall, dass die unternehmerischen Fähigkeiten ausgelagert wurden und es einen Manager gar nicht gegeben hat, wie in einer Firma. Im Idealfall hat man diese künstlerische Freiheit nicht mehr gehabt, aber mit der künstlerischen Freiheit allein kommt jemand, der selbständig wird, auch nicht weit und meistens braucht man dann auch, damit man von dem Beruf auch leben kann, die kaufmännischen Fähigkeiten. Meine Rolle in der Mode ist die österreichische Identität aufzubauen. DIe Mode ist nicht mehr so luxuriös wie in der Nachkriegszeit. Man hat dann so viel improvisieren müssen, indem die Frauen meistens aus den Uniformen der heimgekehrten Männer, sich Röcke genäht haben. Es liegt in diesem Beruf sehr viel an menschlicher Sehnsucht nach Schönheit, Harmonie und ästhetischen Dingen, die wie Hunger in jedem Menschen verankert sind. Wie die notwendigsten Dinge. Natürlich tritt es in den Hintergrund, wenn es rein ums Überleben geht.
Die-Frau: Es gibt eine Fülle an Designern und Modehäusern, die richtige Konkurrenz machen. Warum sollten die Mode-Junkies genau Ihre Mode kaufen?
Bettina Reichl: Mein Stil oder meine Handschrift ist folgende/r: er/sie wirkt zwar sehr schlicht und reduziert auf den ersten Blick, ist aber oft raffiniert in Art, wie sich das Kleid vom Schnitt ereignet. Das ist das, was meine Kunden im Endeffekt offensichtlich anspricht. Dieses versteckte Spiel mit neuen Schnittmöglichkeiten, das aber auch sehr dezent im Auftritt ist.
Die-Frau: Wie oder was ist die Frau, die Ihre Kleidung trägt (eine Frau in der Führungsposition, eine Angestellte, eine Mutter, eine Hausfrau, Studentin, etc.)?
Bettina Reichl: In meinem Kundenkreis gibt es alles, quer durch den Garten. Ich würde eher sagen, es sind Individualistinnen, die sich schon ein bisschen etwas trauen und die auf der Suche nach etwas Besonderem sind Und die vor allem nicht versuchen den Trends zu folgen, sondern die auch ihren eigenen Stil haben und den finden sie bei mir und wissen, dass sich das Gekaufte über Jahre bewährt, ganz andere Zeitbegriffe hat und über Jahre nur noch schöner wird. Leute schätzen es, dass die Sachen so schön verarbeitet sind, aus schönen Materialien sind und einfach lang halten. Mein Ziel ist, dass die Leute den Wert von dem Ganzen zu schätzen wissen.
Die-Frau: Gibt es bestimmte Farben, Stoffe die sie besonders gerne in Ihren Kollektionen verwenden?
Bettina Reichl: Ich habe immer Jersey dabei. Seidiger Holländer oder schwerer Holländer Jersey, ansonsten Wollstoffe, Leinen, im Sommer Kleider aus Chiffon. Von den Farben her sind es dunkle Pastellen würde ich sagen.
Die-Frau: Haben Sie Vorbilder unter den Modedesignern? Weltweit und auch österreichweit?
Bettina Reichl: Ich finde, es gibt überall ganz spannende Designpositionen. Designer aus Indien, Esthonien gehen an die Sache ganz anders als wir ran. Ich finde diese Revolution, die durch die japanischen Designer gekommen ist, einfach nur faszinierend. Diese geometrischen Schnitte und andere Farbgewohnheiten. Und so eine Reduziertheit. Österreichweit gibt es niemanden Speziellen, der für mich ein Vorbild ist. Oder die Schnittformen aus dem arabischen Raum, Afrika sind immer sehr sehr inspirierend.
Die-Frau: Da sie bereits selbst Erfahrungen als Auftrag annehmende Modedesignerin gehabt haben, wo kann man sich besser verwirklichen?
Bettina Reichl: Die künstlerische Freiheit ist natürlich stärker gegeben, wenn man selber produziert. Aber die Situation, dass man einen Produzenten findet, der das aufnimmt, das managed ist idealer. Selbständig sein bedeutet oft: es kommt oft vor, dass es in einem Hobbybereich bleibt. Wenn man zwar leidenschaftlich arbeitet, jedoch aber alle möglichen Jobs annehmen muss, damit man das finanziell noch schafft, finde ich jetzt nicht so ideal. Toll wäre, wenn es wieder tolle unkonventionelle Firmen in Österreich gäbe, die sich einfach auf den Markt trauen. Und die, die erfolgreich sind, haben ein starkes Talent im geschäftlichen Bereich, sind aus den Unternehmerfamilien und finden dort die Unterstützung oder es sind Partner, ein Duo, in dem einer mehr Stärke in dem geschäftlichen Bereich hat, der andere der kreative Kopf ist.
Die-Frau: Welche Rolle spielt die Mode heutzutage?
Bettina Reichl: Die Mode ist die erste Haut um dich. Es wirkt nach Innen und nach Außen. Du kannst dich darstellen und es wirkt. Dass man nach dem Label gebrandmarkt wird, kann man nicht so genau sagen. Durch H&M ist es allgemein zugänglich geworden, sich modisch zu kleiden. Das Wesentliche daran ist, dass das Erscheinungsbild in der Stadt viel schicker durch diese billigere Mode geworden ist. Grundsätzlich machen sie ja schicke Sachen. Ich gehe nur nicht mehr hin, weil mir der Warendruck zu viel ist.
Die-Frau: Wo kaufen Sie sich die Kleidung, die Sie tragen?
Bettina Reichl: ich kaufe meistens bei meinen Designerkolleginnen ein. Kleidung, die ich jeden Tag trage, muss bequem und praktikabel sein.
Die-Frau: Wie weit kann man in der Mode gehen? (verrückte Ideen; Farbkombinationen)
Bettina Reichl: Ich würde sagen, dass es dort keine Grenzen gibt. Das ist das Schöne, dass man den Fantasien freien Lauf lassen kann. Es verschwimmt so oft in der Mode die Grenze zwischen Kunst und Alltagstauglichkeit. Der Effekt spielt hier eine Rolle. Ich finde die Grenzgänger in dem Bereich interessant, die was ausprobieren. Denn außer, dass es niemand tragen will, kann auch nicht viel passieren. Schlimmer finde ich, wenn die Uniform aufgezwungen wird. Ich finde es lustig, wie und insbesonders was die Leute kombinieren. Es sind auch welche drunter, die gar nichts mit der Mode zu tun haben. Man kann immer damit spielen. Leute, die ein Gespür für eine gute Kombination haben, sind schon wieder die Inspiration für den Modedesigner. Es gibt z.B. die Street Fashion Magazines. Neben diesen sind es auch Filme, die Designer insbesonders inspirieren.
Die-Frau: Haben Sie ein Mode-Vorbild?
Bettina Reichl: Mir gefällt die Ästhetik der 60er Jahre sehr. Es war immer geschmackvoll, aber sie haben sich immer was getraut. Wie z.B. Romy Schneider. Sie hat z.B. Overalls oder tolle Rücken-Dekoltees und hohe Stiefel getragen. Oder Audrey Hepburn mit dem schwarzen Tiffany Kleid.
Die-Frau: Finden Sie die heutige jugendliche Mode unpersönlich und asexuell? Wie sollte die Weiblichkeit betont werden?
Bettina Reichl: Es liegt an dem Bedürfnis, dass man androgyn ausschaut. Das ist in der Jugendkultur überhaupt auch so eine Phase, in der man noch nicht Frau sein will. Da will man eher mit einer Gruppe von Freunden unterwegs sein und nicht dass Sexualität so starke Unterschiede macht, sondern dass man in dem Freundeskreis was erlebt. Und es taucht dann mit dem Alter auf, dass einem etwas Anderes wichtiger wird und man die Frau in sich betonen will. Es gibt sicher ganz interessante Bedingungen zwischen der Emanzipationsbewegung in der Mode. Dass das Tragen von Hosen z.B. so selbstverständlich geworden ist, nach der Revolution von Yves Saint Laurent. Immerhin gibt es Gesellschaften, wo man es nicht tun darf, wie im arabischen Raum. Ich denke dann an die Schönheit der Frau und dann den Schleier, durch den diese unsichtbar gemacht wird. Das muss fruchtbar sein. In könnte es nicht aushalten in so einer Gesellschaft zu wohnen, wo ich gezwungen bin, nicht zu kommunizieren. Nur damit mich ja niemand schön und reizvoll findet. Das androgyne macht unkompliziert für eine gewisse Zeit. In meinen Kollektionen wird die Weiblichkeit durch die körperbetonten, jedoch immer noch sehr bequemen Sachen, betont. Man sollte schon eine gute Figur haben, damit vor allem die Overalls schön sitzen. Drüber sind dann die eher umfanglosen Hüllen, die eher unkompliziert sind.
Die-Frau: Welche Tipps würden Sie den jungen Leuten geben?
Bettina Reichl: Eine Zeitlang probiert man eh alles aus. Jedoch verlässt man sich auf das Spiegelbild. Es gehört zu dem sich-selbst-finden-Prozess dazu, ob man einen Stil in der Mode findet und ob man sich in dem auch wohl fühlt.
Auf die Rückmeldungen der Freude, Familie und Bekannte sollte man schon Wert legen. Und wenn einem was gefällt, was andere nicht gut finden, sollte man es trotzdem tragen. Vielleicht ist man ein Trendsetter und die anderen haben es einfach nicht gemerkt. Man muss sich auch trauen so schön zu sein!
Die-Frau: Haben Sie Kinder?
Bettina Reichl: Nein. Wenn man selbständig ist, ist es ganz ganz schwierig, nebenbei noch eine gute Mutter zu sein. Schlimm finde ich aber, wenn die Kinder nervös sind, weil die Mama fast alles nicht mehr schafft. Sich in einem Beruf zu verwirklichen, ermöglicht es, von dem Bild wegzukommen, dass die Familie die reine Erfüllung für eine Frau ist . Die Gesellschaft verlangt eine extreme Flexibilität, indem man es der Frau nicht im Büro ansehen darf, dass auf sie Zuhause noch Kinder warten. Ich finde auch, dass die Arbeitgeber damit umzugehen lernen sollten. Frauen versuchen es, allen Recht zu machen und alles zu schaffen.
Ich selbst habe eine total schöne Kindheit gehabt. Meine Mutter hat es so eingerichtet, dass sie bis zur Zeit, als wir in die Schule gegangen sind, mit uns Zuhause war, und erst danach wieder angefangen hat, zu arbeiten. Bereut habe ich´s nie. Ich habe nie Zeit gehabt. Es war niemals Zeit zum Ausruhen. Es war immer so viel zum Ausbauen. Es hätte mich belastet, Kinder zu kriegen. Es war nie ein eindeutiger Wunsch da, Kinder zu haben. Es wäre nie ideal, bei der Art, wie ich lebe, schwanger zu werden. In der Zeit, als ich mir gedacht habe, ich sollte vielleicht schon ein Kind kriegen, einfach nur vom Alter her, hat es in der Beziehung nicht gepasst. Und dann war eine Beziehung, in der der Mann es thematisiert hat, ich aber das Geschäft aufgemacht habe. Ich hätte viele Dinge mit Kindern wahrscheinlich nicht machen können. Da muss ich niemanden Fragen, ob ich das machen kann. Ich finde, dass man sich als Frau in der letzten Zeit mit dem Bild „ich-schaff-das-schon-alles“ überfordert hat. Die Männer haben nicht viel im Haushalt übernommen. Vielleicht haben sie etwas angefangen zu kochen. Man kann nicht sagen, dass der Haushalt jetzt aufgeteilt ist. Es kann auch ein erfülltes Leben sein, ohne dass man eine Karriere macht und trotzdem seinen Interessen nachgeht. Ich finde es auch gut, wenn die Frau nicht minderwertig ist, wenn sie für ihre Familie und ihre Kinder immer da sein will.
Varvara S