Die Sitten und Bräuche, bezogen auf die Stellung einer Frau in der Gesellschaft, haben sich im Wandel der Zeit mehrmals verändert. Das heutige Vorbild ist eine emanzipierte, unabhängige, selbständige Frau. Alleine eine Ehefrau und Mutter zu sein, reicht nicht mehr aus. Immer wird frau nach ihrem Beruf gefragt und wird von ihr auch ein entsprechendes Niveau gefordert. Nun waren der Wandel und die Veränderungen, an denen heute noch, im 21. Jahrhundert, fleißig gefeilt wird, ein schmerzlicher Prozess, der sich über die Jahrhunderte vollzog. Anders als heute war die Sicht auf die Frau und ihre Stellung in der Gesellschaft im 20sten Jahrhundert. Diese Sicht sowie die Sicht auf die Frauen von damals mit den Augen der Frauen von heute im 21. Jahrhundert bietet das Werk von Leoš Janáček „Jenufa“.
Man muss bedenken, dass die Oper „Jenufa“ von Leoš Janáček im Jahr 1903 fertig geschrieben wurde. Das Jahr war bahnbrechend für den Komponisten, denn ein Jahr davor, während der Feinarbeit an seinem Werk, starb seine erst 11-jährige Tochter Olga, der er „Jenufa“ widmete.
Die Handlung in „
Jenufa“ passiert in Mähren und ist von traditionellen Kolchoskoloriten wie Ohrfeigen, Popscherl wackeln, Gruppensex, Sauffeiern geprägt. Nationale Volksmusik und tschechische Sprachmelodien sind im Stoff verwurzelt.
Trotz der Existenz der deutschen Version des Opernstückes wurde die Aufführung von „
Jenufa“ an der Grazer Oper in Tschechisch gesungen. Wollte Peter Konwitschny damit den Zeitwandel postulieren? Denn im Vergleich mit heute war es im Jahr 1908 keinesfalls üblich, ein Stück außerhalb von Tschechien in Originalsprache aufzuführen. Daher dichtete der Prager Autor Max Brod für eine Aufführung in Prag einen deutschen Text. Um das originale Volkskolorit beizubehalten, basierte die neue Dichtung
auf der tschechischen Sprachmelodie.
Zu erwähnen ist ebenso, dass es sich beim Text der Oper um Prosa handelt. Das Ganze ist in musikalische Szenen, die nahtlos ineinander übergehen, eingebettet.
Wenn auch die Formalien der Oper so präsent und interessant zu klingen vermögen, so ist der Inhalt von „
Jenufa“ eine düstere Realität, die im 20. Jahrhundert ein schweres Schicksal vieler Frauen sein mochte. Bereits die Tatsache, dass Jenufa (emotional von Gal James gespielt) ein Kind von ihrem Halbbruder erwartet und ein zweiter Halbbruder unsterblich in sie verliebt ist, stiftet Unruhe. Für die damaligen Verhältnisse war Jenufa, sollte sie den Vater des Kindes, Stewa (Taylan Reinhard), nicht heiraten, einem unwürdigen Leben ausgesetzt. Somit wird ein Kind – eine Frucht der Liebe oder doch einer Leichtsinnigkeit junger Menschen – ein Störfaktor für das Glück seiner Mutter. Diese musste für sich und ihr Leben und nicht für das Leben des kleinen Wesens entscheiden, was den gesunden Naturgesetzen wiederspricht. I
hre Stiefmutter, die Schäferin (gesungen von Fran Lubahn), ebenso eine Frau, erleichterte Jenufa diese ihre Entscheidung, indem sie ihr Kind kaltblütig tötete.
Die Oper „
Jenufa“ erzählt von der Zeit, in der Frauen schwache Wesen waren, die nicht für sich selbst und das Leben ihrer Kinder entscheiden konnten, weil über ihnen der gesellschaftliche Druck eines Lebens in Unehre und Ungnade war. Die Begründung dafür konnte sein, dass Frauen damals als ihren einzigen Lebensweg eine Heirat sahen und Angst vor Eigenständigkeit hatten sowie überhaupt, sich gegen gesellschaftlichen Vorstellungen zu stellen. In unserer Zeit, trotz der veränderten Ansichten, werden Kinder oft zu den Opfern der Beziehungskrisen. Der Wandel der Zeit gehört wohl erstrangig in den Gedanken der Menschen, vor allem der der Frauen, verankert.
Fotos: Werner Kmetitsch