Was wäre, wenn Mozart zu unserer Zeit geboren wäre? Dann hätte er wohl ein Stück über Drogen, Sex, Alkohol und Partys geschrieben. Alles bis auf Drogen, und dies in hoher Dosis, lässt Eva-Maria Höckmayr in ihre Inszenierung einfließen. Und das zum Entsetzen von Mozart. Denn seine Musik stellt die Grundlage dieser Inszenierung dar. Seine Konstanze, deren Prototyp seine eigene Ehefrau ist, die er kurz nach der Entstehung der Musik zum Singspiel „Die Entführung aus dem Serail“ zum Entsetzen seines Vaters in Wien heiratete, eine Frau, die weiß, was sie will und die auch den richtigen Mann bereits gefunden hat oder zumindest glaubt, ihn gefunden zu haben, verwandelt sich in ein ahnungsloses Mädchen, eine Sklavin, die selbst nichts mehr entscheidet. Genau das Gegenteil von Mozarts Konstanze. Männer stellt Eva-Maria Höckmayr als Tyrannen dar, die mit Macht, Gewalt und Zwang versuchen, sich Frauen anzueignen, gleichzeitig aber bedingungslos den Launen dieser ausgeliefert sind.
Eva-Maria Höckmayr stellt Frauen als launische Schlampen dar, auch wenn dies nur in Konstanzes (Sophia Brommer) und Belmontes (Mirko Roschkowski) Traum passiert. Um ihre Männer eifersüchtig zu machen, gehen sie mit anderen Männern ins Bett, spielen mit den Männern Katz-und-Maus, womit sie diese völlig überfordern, sind hinterlistige Furien, die selbst nicht so recht wissen, was sie wollen. Mit ihrer Inszenierung der „Entführung aus dem Serail“ will Eva-Maria Höckmayr der Eifersucht und der Treue eine Gestalt geben. Eifersucht ist gesund und männlich und führt zu Rivalität, was in dem Stück gar nicht vorhanden ist, sondern umso mehr entstehen aufgrund der Phantasien sogar Dreier-Beziehungen. Treue ist dann wohl ein Thema, das auch viele Paare im Alltag beschäftigt. Wo diese beginnt bzw. endet, da ist aber eine ganz deutliche Linie zwischen weiblicher und männlicher Treue zu setzen. Eine Frau hat Verantwortung gegenüber dem Kind und zerstört dieses, sobald sie einen anderen Mann aussucht als den Vater des Kindes. Offenheit und Ehrlichkeit, die auch im Stück eine wichtige Rolle spielen, sind für das Funktionieren einer Beziehung wichtig.
Der ultimative Guide wie man die eigene Familie an die Wand fährt
Konstanze und Belmonte führen eine Ehe und haben eine siebenjährige Tochter (lebendig von Lilith Breuß gespielt). Beide träumen vom Fremdgehen, einer Verführung, da die Gefühle zwischen den Verheirateten mittlerweile abgekühlt sind. Schlaflose Nächte mit Phantasien über andere Männer und Frauen sind das einzige, das die beiden noch verbindet. Die siebenjährige Tochter, die wohl vom Trubel indirekt alles mitbekommen hat und somit selbst keinen Schlaf findet, wird von den beiden mit Geschichten aller Art und aus aller Welt versorgt. Konstanze findet in ihr einen Ort zum Kuscheln und gleichzeitig denkt sie darüber nach, die Familie für einen anderen Mann zu verlassen, dessen Blick „sie gestreift hat“. Ein unfairer Gedankengang gegenüber dem Kind, das eine verantwortungsvolle Mutter und keine verzweifelte, depressive Frau braucht.
Katz-und-Maus-Spiel
Eva-Maria Höckmayr stellt die komplette originale Inszenierung auf den Kopf und bringt Konstanze und Belmonte ins 21. Jahrhundert, wobei sie in den Mittelpunkt Treue und Eifersucht und nicht das Frau- und Mannsein stellt. Die Szenen aus der Oper sind wie vom Alltag abgezeichnet, wer hat wohl in diesen nicht seine eigene familiäre Situation oder die des Nachbarn, der Verwandten, der Bekannten etc. wiedererkannt, jedoch passt irgendwie die Musik nicht zum Inhalt.
„Durch Zärtlichkeit und Schmeicheln,
Gefälligkeit und Scherzen,
Erobert man die Herzen
Der guten Mädchen leicht.
Doch mürrisches Befehlen,
Und Poltern, Zanken, Plagen
Macht, daß in wenig Tagen
So Lieb' als Treu' entweicht.“
singt Blonde auf Aufforderung von Osmins ihr Katz-und-Maus-Spiel zu beenden und mit ihm nach Hause zu gehen. Er will sie dem lächerlichen Spiel entziehen, das sie, um ihn zu verletzen, begeht. Außerdem versteht er gar nicht, was sie von ihm will. In Mozart´s Sinne? Zumindest nicht im Sinne seiner Zeit.
Das End-Singspiel, wobei Belmonte und Konstanze zum Tode verurteilt wurden und nun auf ihre Hinrichtung warten, passt nicht so ganz auf die Lebenssituation der beiden. Vor allem passt es nicht mit der Familienkonstellation zusammen. Was passiert mit dem Kind? Beide wollen „mit wonnevollen Blicken … da die Welt [verlassen]“ und das Kind in Not lassen? Wohl kein Zeugnis des Erwachsenseins. Hut ab vor Lilith Breuß, die Elena, die Tochter von Konstanze und Belmonte spielt, denn die Vorstellung dauerte bis 22:15, wo auch unser Jungredakteur Jordan (5,5 Jahre alt) nach dem zweiten Akt selig eingeschlafen ist.
Nichtdestotrotz war die Premiere von „Die Entführung aus dem Serail“ in der Inszenierung von Eva-Maria Höckmayr ein Erlebnis. Auch wenn einige Zuschauer den Saal nach dem ersten Akt verlassen haben, erwiesen die in der Mehrheit übriggebliebenen richtige Treue und Begeisterung. Zwar keine Standing-Ovations, aber saftiger Beifall wurde den Schauspielern und Produzenten geschenkt. Kein Wunder, denn gesanglich und schauspielerisch war die Vorstellung ein wahres Vergnügen, außerdem konnten sich offenbar auch viele Zuschauer mit dem Inhalt der Oper identifizieren. Ein mutiges Experiment. Ob dieses gelungen ist oder nicht, wird der Entscheidung der Zuschauer überlassen.
VS
Fotos: Werner Kmetitsch