24.05.2010 |
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Alter Mann, was nun?
„Die Nacht ist jung“ von Nehle Dick am Wiener TAG.
Der Mensch altert und stirbt. So viel steht fest. Was aber, wenn es nicht so wäre, wenn der Mensch die Möglichkeit hätte, sein Gehirn und damit sein Ich in einen neuen, jungen Körper zu verpflanzen? Immer wieder jung zu sein? Diese Traumvorstellung von sehr vielen Menschen wird in „Die Nacht ist jung“ von Nehle Dick am Wiener TAG Wirklichkeit. Da steht ein junger, schöner Mann und erzählt den Zuschauern von seinen Rückenproblemen, vom Grauen Star und der allgemein körperlich eher maroden Verfassung. Doch all das gehört der Vergangenheit an, denn er hat sich, um sehr viel Geld, diesen Top-Körper geleistet, den er auch bereitwillig präsentiert. Und nun beginnt sein Leben von vorn. Nun kann er seine Jugend genießen, nein, mehr noch, nun kann er seine Jugend mit dem Bewusstsein eines Menschen genießen, der weiß, wie das Leben läuft, der alles schon erlebt hat, der Erfahrung hat, die ein anderer Mensch im Alter seines Körpers niemals haben kann.
Doch ist mit seinem Gehirn tatsächlich sein ganzes Sein in den neuen Körper verpflanzt worden? Wem gehört diese neue, straffe Haut, die er anfasst? Wem gehören die Hände, mit denen er sie anfasst? Sind das seine? Ist er dieser Körper? Oder ist nicht auch der Körper Teil des Wesens eines jeden Menschen?
Wieder und wieder erlebt er den ersten Tag mit seinem neuen Körper, wieder und wieder probiert er sich aus, hat Sex, geht tanzen und singen und trinken und beobachtet die Frau, die 35 Jahre lang seine Frau war, in seinem Haus, das 35 Jahre lang sein Haus war, nur durchs Fenster. Warum geht er nicht hinein?
Julian Loidl spielt die Hoffnungen und Sehnsüchte des alten Menschen im jungen Körper überzeugend und für Zuschauer jeden Alters nachvollziehbar, mit einer seelischen Zerbrechlichkeit, die der seiner alten, weggeworfenen Knochen entspricht. Vor allem aber bringt er es fertig, das nicht Erfüllte zu zeigen, ohne dafür die große Tragödie zu bedienen. Dieser Mann befindet sich (noch) im Stadium, wo er sich selber am erfolgreichsten belügen kann.
Aufgepeppt wurde das Stück in der Inszenierung von Nehle Dick (Ausstattung: Alexandra Burgstaller) durch eine Square Dance Gruppe, die aus Menschen besteht, die dem Alter entsprechen, das der Protagonist nun nicht mehr hat. Dieser optische Kontrast zwischen dem Jungen, der übers Alter spricht, und den Alten, die sich sicher nicht alt fühlen, wenn sie beschwingt über die Bühne tanzen, macht ohne Worte deutlich, welche Diskrepanzen hier auf der Bühne zu sehen sind.
Das Stück (nach Motiven des Romans „In fremder Haut“ von Hanif Kureishi) wurde bereits in einer Kurzversion innerhalb des „Rohbau 1 / Zukunft“ am TAG gezeigt und fand damals schon sehr viel Anklang beim Publikum. Konnte man in der damaligen Fassung noch gegen Ende den Anfang einer mit dem Hirn übertragenen Alzheimer-Erkrankung hineininterpretieren, so wurde dieses Mal eher Wert auf das nicht erklärbare Verlorensein im fremden Körper gelegt.
„Die Nacht ist jung“: Empfehlenswert für Alt und Jung. Am TAG, Theater an der Gumpendorfer Straße.
(rb)
Fotos: Anna Stöcher