Als Mutter eines Kindes bin ich laufend auf der Suche nach Babysittern. Diese kommen und gehen, leisten ihren Beitrag oder auch nicht, nehmen aus der Kommunikation mit meinem Sohn was für ihr eigenes Leben mit etc. Jede hat eine ausgefallene Persönlichkeit und eigene besondere Merkmale. Viele haben Tattoos, Piercing, Dreads oder einfach nur gefärbte Haare, breite Baggy Hose, T-Shirts mit kindischen Anschriften a-la „Sweet girl“ oder „Ich kotze mich gleich an“. Eine Babysitterin aus Bulgarien, die gerade erst 18 ist, lebt mit ihrem Freund seit zwei Jahren in einer aufrechten Zweierbeziehung. Sie ist ihrem Freund nach Österreich gefolgt, um mit ihm zusammen in Österreich zu studieren. Während der Freund parallel zum Deutschkurs einige Vorlesungen auf der Uni besucht, konzentriert sie sich ausschließlich auf den Deutschkurs. Als Erstes fiel allen ihr Piercing auf der Lippe auf. Nach einiger Zeit habe ich auch das Tattoo auf ihrem Handgelenk bemerkt. Sie hat es vor kurzem machen lassen. Dass es beim Tätowieren wehgetan hat, hat sie verneint.
In Wien hat auf Jordan eine Frau aufgepasst, die mit ihren 23 wie eine 13-Jährige herum läuft. Ihren Kopf schmücken unordentliche Dreads; eine breite Hose, ein T-Shirt und Flip-Flops hat sie an. Als ich nach ihren Vortätigkeiten fragte, musste ich leicht ins Staunen kommen. Noch vor zwei Monaten stand sie vornehm gekleidet und mit einer modernen Frisur als Beraterin in einer der Filialen von DonGilDonna. Die Marke ging Pleite und mit ihr das Feeling jener Frau für das Schöne. Dass sie ganz anders während ihrer Tätigkeit beim Modelabel und danach von den Menschen wahrgenommen wurde, fiel ihr leider nicht auf.
Dann durfte ich eine Brasilianerin kennenlernen, die sich mit ihren 18 Jahren bereits vier Tattoos machen ließ. Mit ihrem Freund war sie zwei Jahre zusammen, sie sind immer noch befreundet. Das Verhältnis zwischen den beiden kann man eher als „Sex als Kinderspiel“ bezeichnen. Oder als Mutter-Kind oder Kinderliebe. Dazu, wie schmerzhaft das Tätowieren war, meinte sie, dass sie gar nichts gespürt hat…
Stress, Druck, Gedanken, die keinen Ausweg finden und einen in der Nacht beschäftigen, machen einem modernen Menschen schwer zu schaffen. Die Erwartungen gehen nicht in Erfüllung, die Gefühle werden nicht beachtet, man lässt den eigenen Emotionen nicht freien Lauf. Die Kette Emotion = Sexualität = Kommunikation = Respekt = Verantwortung hat einen Bruch und lässt sich somit nicht heil an einen anpassen.
Frau Dr. Julia Rüsch, Ärztin für Allgemeinmedizin und Psychosomatik, berichtet über ihre Erfahrungen: Meist haben Frauen, die sich tätowieren lassen, sexuelle Erfahrungen, die wenig erfreulich, also nicht befriedigend waren. Sie hatten sexuellen Kontakt ohne eigenen Orgasmus, für den Mann, für die Beziehung, aber nicht für die eigene Befriedigung. Dadurch verletzen sie sich immer wieder selber.
Um diese Verletzungen, aber auch Verletzungen aus der Kindheit, nicht mehr zu spüren, haben sie gelernt, ihren Körper nicht mehr zu spüren. Sie spüren nicht mehr, ob sie erregt sind und befriedigt werden wollen, um unter anderem beim Geschlechtsverkehr, den sie nicht für sich machen, nichts zu empfinden.
Um sich zu spüren müssen sie sich Schmerzen zufügen, wobei diese, und damit auch das Tätowieren, nicht als Schmerzen empfunden werden, sondern als "Kick", der zum Ausschütten unterschiedlicher Hormone (Stresshormone, Glückshormone) führt.
Das Tätowieren wird heute unter dem Deckmantel der Schönheit gemacht. Tätowieren ist mittlerweile gesellschaftlich akzeptiert. Jemand, der sich ritzt (durch Schneiden selbst verletzt), aus der gleichen Motivation, wird „erkannt“. Jemand mit Tätowierung nicht (mehr).
Conclusio: Einige schaffen es mit den Traumen geschickt umzugehen, die anderen suchen nach einem Abdampf- bzw. einem Ersatzmittel. Eines der Mittel zum Weg, warum man aufhört sich selbst zu spüren, ist die Beziehungsprostitution. Wenn Sex nicht zur Befriedigung der Frau, sondern als Kinderspiel oder als Befriedigung und Stressabbau des Mannes dient, steigt die Frust und Aggression der Frauen. Wenn sie sich beim Sex nicht spüren, dann zumindest beim Tätowieren oder Piercen.
Dabei sind Piercen und Tätowieren nur noch die Vorstufen einer größeren Krankheit. Die Betonung liegt auf Krankheit, denn normal ist es nicht, wenn ein Mensch sich selbst freiwillig und bewusst weh tut. Als Vorstufe kann man das Ritzen anführen. Als Steigerung der Krankheit wird Magersucht, Bulimie genannt.
Traumen erleben alle. Angefangen von der Kindheit bis ins Erwachsenenalter. In der Schule wird man ausgelacht, weil man Second-Hand- und Flohmarkt-Klamotten anhat oder dauernd auf die Nase fällt oder wenn bei einem die Augenbraunen zugewachsen sind. Im Büro wird man laufend kritisiert, in bestimmte Kreise nicht zugelassen, weil man sich denen nicht anpasst… Die Liste kann man unendlich fortsetzen. Jedoch an dem hängen zu bleiben und verklemmt und unsicher durch das Leben zu gehen, ist keine Lösung, die zu einem Ziel führt. Sich der Herausforderung zu stellen, ehrlich und direkt zu sein, die Gefühle und Wünsche offen zu äußern: das ist das Lebensmotto, das sich jeder ebenfalls zum eigenen Tagesgebet machen sollte.
Varvara Shcherbak