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Richterin verfälscht diktiertes Protokoll prozessentscheidend durch Weglassung
22.05.2020
Alle Anwälte beklagen die gerichtliche Unsitte der Gerichtsprotokolle, bleiben aber dennoch untätig, statt dem Gesetzgeber, den Nationalräten einen Gesetzesvorschlag zu unterbreiten.

Nur durch eine Tonaufnahme konnte das bewiesen werden. Ich fordere Sie auf, den Gesetzgeber zur Gesetzesänderung aufzufordern.

Das Abschieben der Verantwortung an Kammern etc., statt selbst als Bürger tätig zu werden, ist unerträglich.

Zu AZ 19 Cg 58/19d ist beim HG Wien ein Verfahren wegen Unterlassung und Wiederruf anhängig. Gegenstand ist, dass das falsche Vorbringen eines Anwaltes Betrug ist.

Das den Parteien zugestellte Protokoll der Tagsatzung vom 6.3.2020 entspricht weder dem in der Verhandlung diktierten Protokoll noch den tatsächlichen Abläufen in der Verhandlung.

Die Abweichung ist unzulässig und wesentlich, da die Richterin die Rechtsmeinung vertrat, es handle sich um ein Werturteil, das dem Wahrheitsbeweis nicht zugänglich ist und nicht um eine Tatsachenbehauptung. Das zugestellte Protokoll geht aber von einer Tatsachenbehauptung aus. Dem Beklagtenvertreter wird mutwillig vorgeworfen, keine Beweise für den Wahrheitsbeweis angeboten zu haben, weshalb dieser kunstfehlerhaft gescheitert sei.

 

Die Richterin protokollierte in der Verhandlung wörtlich wie folgt:

Weiters erörtert die Richterin, Beistrich, dass ihres Erachtens nach eine Rechtsfrage zu klären sein wird, nämlich insbesondere, ob hier überhaupt eine Tatsachenbehauptung vorliegt, die einem Wahrheitsbeweis zugänglich ist oder ob es sich nicht vielmehr um eine Werturteil handelt.



Im zugeschickten Protokoll fehlt dolos der nachfolgende, wesentliche Satzteil:

... nämlich insbesondere, ob hier überhaupt eine Tatsachenbehauptung vorliegt, die einem Wahrheitsbeweis zugänglich ist oder ob es sich nicht vielmehr um eine Werturteil handelt.




Der nächste Satz im zugeschickten Protokoll lautet:


Dahingehend erörtert die Richterin weiters, dass es aus ihrer Sicht nicht notwendig sei, sämtliche Vorprozesse zum Gegenstand dieses Prozesses zu machen entgegen der Ansicht des Beklagtenvertreters.

 

Der Beklagtenvertreter hat sich in der Verhandlung für die Zulässigkeit des Wahrheitsbeweises ausgesprochen, was auch im zugesandten Protokoll steht:  


Der Beklagtenvertreter bringt vor in Ansehung des Veröffentlichungsbegehrens, dass der Wahrheitsbeweis immer zulässig sei, auch laut Rechtsprechung.




Dieses Vorbringen ergibt aber nur in Zusammenhang mit dem gelöschten Satzteil „ob hier überhaupt eine Tatsachenbehauptung vorliegt, die einem Wahrheitsbeweis zugänglich ist oder ob es sich nicht vielmehr um einen Werturteil handelt", einen Sinn

 

Es wurde ein Protokollberichtigungsantrag eingebracht, welcher mit dem nachfolgenden Beschluss des Handelsgerichtes Wien abgewiesen wurde:



„Der als „Protokollberichtigungsantrag" bezeichnete Widerspruch der klagenden Partei vom 17.4.2020 gegen die Protokollierung laut ON 16 wird abgewiesen.

 ...]

Ein Widerspruch gegen die Protokollierung muss spätestens im Zeitpunkt der Vorlage des Protokolls zur Fertigung durch die Parteien erhoben werden.

Ein von einer Partei binnen drei Tagen nach Zustellung der Protokollsabschrift eingebrachter Antrag auf Protokollsberichtigung ist als Widerspruch anzusehen; über diesen hat das Gericht in der Regel keine Entscheidung zu treffen, es kann aber die Übertragung entsprechend ändern (Klauser/Kodek, JN – ZPO18 § 212 ZPO E3 [Stand 1.9.2018, rdb.at]).


Mit dem Widerspruch nach § 212 Abs. 5 ZPO bei einem Kurzschriftprotokoll bzw. (gem. §212a Abs. 2 ZPO) einem Schallträgerprotokoll können nur noch Fehler bei der Übertragung (in Vollschrift) geltend gemacht werden, also nicht mehr, dass das Vorbringen falsch diktiert worden ist."

 

Damit erklärt die Richterin unrichtig, dass begehrt wurde etwas richtigzustellen, das nicht in das Tonaufnahmeprotokoll diktiert wurde und daher in der Abschrift desselben fehlt. Es geht hier aber um eine verfälschte Übertragung des diktierten Protokolls und Erstellung eines „neuen" Protokolls.
 


Die Abschrift des Tonaufnahmeprotokoll darf nur noch in Bezug auf Tippfehler oder Abweichungen vom Tonband (SchreiberIn hat zB einen Namen falsch verstanden oä) durch die Richterin korrigiert werden. Ungesetzlich ist es, durch die Abschrift das Tonbandprotokoll zu ändern. Es muss 1:1 übernommen werden. Das ergibt sich auch aus dem Passus am Ende des Protokolls: „Laut diktiert, kein Einwand.". Dieser Satz drückt klar aus, dass die Parteien mit DIESER konkreten Tonaufzeichnung als Protokoll einverstanden sind und mit nichts anderem.

Weiter steht in diesem Beschluss:

„Über einen Widerspruch gegen die Übertragung entscheidet (anders als über einen Widerspruch nach § 212 Abs. 1 ZPO) das Prozessgericht; ist der Widerspruch berechtigt, dann ist die Übertragung entsprechend zu ändern. Ein nicht berechtigter Widerspruch gegen die Übertragung muss mit Beschluss abgewiesen werden (§ 214 Abs. 1 ZPO).

Die Klägerin macht in ihrem Protokollberichtigungsantrag inhaltliche Fehler der Protokollierung geltend. Dies steht ihr mit dem Widerspruch nach § 212 Abs. 5 ZPO nicht mehr offen.

Für eine Richtigstellung von Amts wegen sieht das Gericht keine Veranlassung.

[...]"


 
Sprach's und änderte amtswegig, nach Antrag auf Übermittlung der Urschrift der Übertragung des diktierten Protokolls, per Beschluss vom 15.5.2020 das Protokoll:

 

„Die Ausfertigung der Protokollabschrift wird auf Seite 4 von Amts wegen insoweit

richtiggestellt, als dort zu Punkt 2. der richterlichen Erörterung nach „Weiters erörtert die

Richterin, dass ihres Erachtens nach eine Rechtsfrage zu klären sein wird." eingefügt wird: „,

nämlich insoweit, ob hier überhaupt eine Tatsachenbehauptung vorliegt, die einem

Wahrheitsbeweis zugänglich ist, oder ob es sich nicht vielmehr um ein Werturteil handelt."



Erst nachdem die Übersendung der Urabschrift des Tonbandprotokolls begehrt worden war, welche laut Gesetz in den Akt kommt und dort verbleibt, wurde diese amtswegige Änderung vorgenommen. Auch die zeitliche Abfolge wurde laut Diktat richtiggestellt:

„Nach Vergleich der Urschrift mit der Ausfertigung wurde ersichtlich, dass auf Seite 4 der

Ausfertigung die rechtliche Erörterung „nämlich insbesondere, ob hier überhaupt eine

Tatsachenbehauptung vorliegt, die einem Wahrheitsbeweis zugänglich ist, oder ob es sich

nicht vielmehr um ein Werturteil handelt." fehlt.


Warum diese Erörterung in der Ausfertigung nicht mehr vorhanden ist, ist dem Gericht nicht

nachvollziehbar. Diese offensichtliche Auslassung in der Ausfertigung war von Amts wegen

richtigzustellen.


 

Lediglich der Klarstellung wegen ist noch auszuführen: Auf Seite 3 der Urschrift wurde

festgehalten, dass „das Vorbringen der Klage vor der Replik des Beklagtenvertreters hierzu

erstattet wurde und der Beklagtenvertreter dies natürlich bestritten hat." In der Urschrift findet sich dieses Vorbringen nämlich erst nach der Bestreitung des Beklagtenvertreters (Seite 3), was auf einen unbeabsichtigten Diktatsprung zurückzuführen ist. Insoweit würde die

Bestreitung des Beklagtenvertreters in der Urschrift eingangs der Verhandlung keinen Sinn

ergeben, da dort nicht ersichtlich ist, dass der Klagevertreter zu diesem Zeitpunkt die Klage

bereits vorgetragen hat.

 

Entsprechend wurde das Protokoll laut dem tatsächlichen Ablauf der Verhandlung verbessert

und vor der Replik des BV (in der der BV natürlich auch die Klage bestritten hat) eingefügt:

„Der KV bringt vor wie in ON 1." (Seite 2). Diese Vorgehensweise wurde den

Parteienvertretern in der Verhandlung erläutert."

 
Es wird gerade hier offenkundig, dass das Zusammenfassungsprotokoll und dessen Abschrift überholt sind. Es muss ein internationaler, zumindest europäischer Standard gesetzlich eingeführt werden, was mit den modernen Hilfsmitteln kostengünstig und ohne großen Aufwand möglich ist, dass ein Tonaufnahmeprotokoll der gesamten Verhandlung aufgenommen wird. Sobald die Verhandlung eröffnet wurde, gibt es ohnehin kein „außerhalb des Protokolls" mehr, was eine andere österreichische Unart ist. Dementsprechend kann alles aufgenommen werden, was den ein oder anderen auch dazu bewegen wird, bei seinen Aussagen näher an der Wahrheit zu bleiben.

Dieses Tonprotokoll wird sodann Aktenbestandteil. Will eine Partei eine Abschrift desselben, muss sie für die Kosten selbst aufkommen. Die Tonaufnahme wird jeder Partei per USB-Stick oder Drop-Datei zur Verfügung gestellt. Das ist günstiger als Schreibabteilungen zu beschäftigen und spart den Richtern wertvolle Zeit, wenn sie nicht Protokolle korrigieren müssen. Richter können als Urteilsbehelf eine unverbesserte Abschrift des Tonbandprotokolls bekommen und dasselbe gilt gegengleich für Anwälte, wenn sie es für Rechtsmittel etc. benötigen.


Bernhard Lanz

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